20. Mai 2006 in Amden/SG

Rückschau auf die 2. Tagung für Alpine Literatur zum Thema «Leidenschaft Berg».

«Die Veranstaltung gestern in Amden war wieder super! Auch meine beiden Begleiterinnen, waren wieder wie letztes Mal, begeistert. Auch ein Kompliment wie gut es trotz der grösseren Anzahl TeilnehmerInnen organisiert war.» Ruth Ott.

«Danke für die gelungene, hochkarätige Tagung. Es hat uns sehr gut gefallen und auch viel gebracht. Und nicht zuletzt haben wir durch diesen Anlass auch die Gegend etwas kennengelernt. Trotz der Nässe sind wir heute noch auf Arvenbüel herumgewandert und Betlis konnten wir sogar bei herrlicher Sonne erleben.» Elisabeth und Peter Alig.

«Es war stil- und liebevoll organisiert, hat mir gut gefallen. Auch die Beiträge waren jeder für sich interessant. Obwohl etwas lang, hat mir Felix Ortlieb sehr gefallen. Vermisst habe ich ein wenig die Auseinandersetzung mit den Bergen als Lebens- und allenfalls auch als Arbeitsraum und eben nicht nur als Erlebnis- und Selbsterfahrungsraum. Vielleicht könnte es sogar Platz geben für gute Reise- und Wanderliteratur.» Fritz Keller.

«Nochmals herzliche Gratulation für diesen gelungenen Samstag in Amden! Das Programm war wirklich schön breit und immer wieder interessant, sodass ich nicht ein einziges Mal sehnsüchtig zum Mürtschen hinüber zu schauen brauchte, um vor Langeweile davonzuklettern...» Charles Mori.

«Mir hat die Veranstaltung sehr gut gefallen, super Organisation, abwechslungsreiche Beiträge, interessante Gäste.» Sabina Altermatt.

«Ich habe mit grossem Vergnügen und sicherem persönlichen Gewinn teilgenommen. Obwohl ein guter Text natürlich für dich selber spricht, ist die Begegnung mit der Person dahinter stets faszinierend. ... Immer wieder hätte ich mir gewünscht, dass das Gespräch mit dem Autor etwas länger gedauert hätte. Es hat immer so viel versprechend angehoben - und war dann so schnell fertig.» Emanuele Jannibelli.

Das Programm

Die Autorinnen und Autoren, Schauspieler, Musiker

Pressestimmen:

Südostschweiz

Sichern mit Haken, Komma und Punkt

Die Bergfahrt 2006 brachte Berg- und Kulturfreunde aus dem In- und Ausland nach Amden. Der Tag der Begegnung mit alpiner Literatur zum Thema «Leidenschaft Berg» war eine Tour von Gipfel zu Gipfel.

Von Brigitte Tiefenauer

«Andiamo Monte!» Emil Zopfi, Glarner Schriftsteller und Sportkletterer begrüsste rund 170 Gäste zur «Bergfahrt 2006» in Amden. Der Tagungsort mache Sinn, die obgenannte, ursprüngliche Bedeutung «Amden» heisse nichts weiter als «auf zum Berg!», die Kulisse im Eldorado der Bergsportler sei perfekt.
Und der Bündner Musiker und Komponist Domenic Janett grüsste das Publikum und eben diese Kulisse mit einem «Klarinettengesang», der den Berg akustisch mitten in den Raum setzte, wo schreibende Bergsteiger und kletternde Schriftsteller, beseelt vom Glück beider Leidenschaften, ihr Werk präsentierten: Ein Potpourri packender Texte erfahrener und auch sehr junger Autorinnen und Autoren, Diskussionen über den Sinn oder Unsinn des Vergnügens in Glückswänden und auf Todesgraten, Dramatik und Poesie.

Kopf, Körper und Seele im Einklang
Oswald Oelz zum Beispiel: «In Oman sollte die Wand sein, die wie eine Fata Morgana aus der Hitze der flimmernden Einöde der Wüste ragte» las er und erzählte, wie er die jungfräuliche Wand im höchsten Kalkriff der arabischen Steinwüste zur Route «Eastern Promise» erkürte, im Rucksack osmanischen «La-vache-qui-rit»-Käse, Fladenbrot und eine Flasche Valpolicella, vor sich die störrische Jungfrau und in sich die Abenteuerlust und die Gedanken an Kameraden, die der Fels einst nicht mehr zurückgegeben hat. Bis er da war, der Grat. Das warme «Magnum Omani Mountain Spring Water» nach vollbrachter Leistung bezeichnet er, der an ordentliche Getränke wie Mouton Rotschild gewohnt ist, als «das köstlichste Getränk meines Lebens» zur Feier der Erfahrung, was Glück ist. Oswald Oelz ist Extrembergsteiger, Expeditionsarzt und Höhenmediziner am Triemlispital in Zürich.
Philosophisch präsentierte sich Christine Kopp, Übersetzerin, Fachjournalistin Alpinismus und NZZ-Redaktorin. Sie entführte das Publikum nach Alaska, genauer in die Welt ihrer Gedanken, wenn sie sich in mitternachtsbesonnten Eislabyrinthen dem Ziel entgegenkämpft. In der Magie des Berges, so Kopp, erfahre sie die Schnittstelle, wo Körper, Kopf und Seele im Einklang stünden und man nur noch den Augenblick lebe. Die Balance zwischen Lebenslust und Todesgefahr mache wohl das totale Lebensgefühl der Bergsteiger aus.

Tod als Teil der Leidenschaft
Einen un-erhörten Text schmetterte Roland Heer ins Publikum. Unerhört, weil erstens Premiere und zweitens schlichtweg Hammer: Felssturz, Donnerwetter und Eislawine in einem; eine packende Lesung der Superklasse. Eine Schreibbegehung seis, eine Exkursion ins Textgebirge, das eben auch sein Risiko berge, weil man die Geister, die man schreibend gerufen, so schnell nicht wieder los werde. Analog der Krise am Berg erlebt der Schreiber «fantasieloses Sauwetter, alle Ideen zugenebelt, die Intuition tropfnass und der Bildschirm wolkenverhangen, dazu Nullbock und Lustdruck». Heer «sichert mit Kommas und Punkten, ein Ende des Seils mit dem Hirn verknotet und das andere am Finger auf der schweissnassen Tastatur», der Berg wachse ihm über den Kopf, derweil er das Adrenalin sich hämisch ausschütten spüre - und plötzlich sei alles vorbei. «Ich bin auf dem Gipfel, drücke control S, die Spule franst aus, es ist still.» Bergsteigen, so der Germanist und Sportkletterer, sei nichts anderes als das Bergsteigen selbst, und dies zu erfahren sei der Bergsteiger unterwegs. Nurmehr Janett fand «Worte» in Form ergreifender Charakterporträts der drei Bergautoren.
Die anschliessende Diskussionsrunde war ausgerichtet auf die «Leiden» der Leidenschaft: Todesangst und Tod und die Bedeutung beider im Leben der Klettersportler.

«Wieso bisch du am Berg?»
Vom Kenner zum Laien führte die Filmpremiere von Gian Rupf. Der Film war anlässlich einer Hüttenwanderung in den Bündner Bergen entstanden und fokussierte das Volk der Bergler und derer, die ihre Freizeit dort verbringen. In humoristischen Szenen in schönster Umgebung zeigt er die vielseitigen Beweggründe der Menschen und Tiere auf Berge zu steigen. Plädoyers für Glück, Erholung, Reichtum, das Dasein jenseits aller Konventionen bis hin zum Virus Bergeslust flimmerten auf humoristische Weise über die Leinwand.

Brilliante Mono- und Dialoge
«Frisch am Berg» setzte einen markanten Gipfelpunkt in den Nachmittag. Max Frisch war ein urbaner, weltläufiger Mensch. Auf einem Alpenflug 1946, hoch über dem Finsteraarhorn, packte ihn die Liebe zum Berg, die er fortan treu bewahrte, und eine «plötzliche Lust zu klettern». Fetzen dieser Liebe finden sich in Frischs Werk, mal kürzer mal länger, wie Gipfel, die aus dem Nebel ragen.
Diese «Gipfel» - eine Sammlung von Bergpassagen aus Frischs Werk, nutzte das Duo Gian Rupf und René Schnoz zur Komposition einer dramatischen Lesung. Ein «Flugzeug» brummte über die Berge und «Frisch» erzählte seine Erlebnisse am Berg: Brilliante Mono- und Dialoge in loser, humoristischer Folge, auf der Mikrobühne bestehend aus einem Ledersessel, darunter Tonnen von Büchern und, in einer riesigen Kiste, die Hermes Baby, ohne die die Impressionen vielleicht nie zu Buche gekommen wären. Bis Frischs Blick aus dem Fenster schweifte, er begeistert die Berge vor Ort entdeckte und das Publikum mit «schau der Mürtschenstock!» zurück in die Realität holte.


DIE ALPEN – SAC

«Die plötzliche Lust zum Klettern»

Entdeckung an der „Bergfahrt 2006“: der Bergsteiger Max Frisch.

von Daniel Anker

Charles Ferdinand Ramuz und la montagne, das ist klassisch. Friedrich Dürrenmatt und die Berge, das ist kaum vorstellbar. Und wie steht es mit Max Frisch, dem dritten grossen Schriftsteller der Schweiz im 20. Jahrhundert? An der von Emil Zopfi organisierten und moderierten „Bergfahrt 2006 - Begegnung mit alpiner Literatur“ in Amden wurde erstmals einem grösseren Publikum bewusst, dass sich Frisch mit den Bergen, die er in jungen Jahren mit Leidenschaft bestiegen und beschrieben hatte, immer wieder beschäftigte.

„Beide hatten einen ziemlich guten Stand, aber kaum Griffe für die Hand. Man hat das Gefühl, die Wand drücken einen hinaus“: eine Szene aus „Der Mensch erscheint im Holozän“, dem Alterswerk von Max Frisch (1911-1991). Die 1979 publizierte Erzählung spielt im Onsernonetal, wo Frisch ein Haus besass, und enthält eine dramatisch verlaufene Tour aufs Matterhorn. Ob Frisch wirklich auf dem Matterhorn war, habe er nicht herausfinden können, sagte der Schriftsteller und Sportkletterer Emil Zopfi den zahlreichen Zuhörern, die am 20. Mai 2006 nach Amden ob dem Walensee zur zweiten „Bergfahrt“ gepilgert war; die erste hatte vor zwei Jahren im glarnerischen Richisau stattgefunden. Die Familie sage nein, die Literaturwissenschaftler sagten ja, so Zopfi. Lesenswert ist die Matterhornfahrt von Frisch ohnehin. Wie alle andern seiner Bergtexte. Zum Beispiel die im Roman „Mein Name sei Gantenbein“ eingeflochtene Geschichte vom Piz Kesch: „Ich stieg ziemlich rasch, und als ich auf Schnee kam, war er noch klingelhart. Ich rastete in der Kesch-Lücke, als die Sonne eben aufging, weit und breit kein Mensch, ich frühstückte eine trockene Ovomaltine.“ Unglaublich spannend, wie die Romanfigur Gantenbein bzw. eben der Autor Frisch 1942 auf dem Gipfel oben dann einen Nazideutschen traf und ihn fast in den Abgrund gestossen hätte. Auch in seinem ersten Tagebuch spielen die Berge eine Rolle; zu einem Flug über das Finsteraarhorn notierte Frisch 1946: „Die plötzliche Lust zum Klettern, überhaupt die Gier, den Dingern wieder näherzukommen.“ Das Finsteraarhorn taucht ebenfalls im Bericht „Homo Faber“ wieder auf. In der Erzählung „Montauk“, einer in New York verankerten Liebesgeschichte, rechnet Frisch mit einem früheren Bergkameraden ab, und in seinem berühmtesten Roman, dem „Stiller“, lesen wir überraschend: „Dann wieder schwärmte er von einer fremden Dame, die ihn, oben auf dem Gipfel des Piz Palü, auf sein schwitzendes Gesicht geküsst hätte, das war für ihn der Piz Palü, unvergesslich, einmalig, grandios.“

An der Begegnung mit alpiner Literatur in Amden haben die Schauspieler Gian Rupf und René Schnoz - die beiden sind im Juli und August mit ihrer Inszenierung „Bergfahrt - Tour de SAC 2006“ unterwegs - Texte von Max Frisch zu einer dramatischen Lesung zusammengestellt und verdichtet: sicher der Höhepunkt der Veranstaltung, bei welcher der SAC Hauptsponsor und Partner war. Sie stand in diesem Jahr unter dem Motto „Leidenschaft Berg“. Tourenleiter Emil Zopfi zitierte dazu die Westschweizerin Betty Favre, die 1952 als erste Frau durch die Nordostwand des Badile geklettert war und in den „Alpen“ geschrieben hatte: „Auf der Mauer rund um die Hütte schwatzen wir wie Vögel auf dem Nestrand, fröstelnd, die Lider schwer vom Schlaf, den wir nicht finden konnten. Wir sind verrückt, aber königlich verrückt. Einzigartige Leidenschaft; sie hat die Flügel der Weite, die Grösse entfesselter Furien und sogar der Tod, der über die Genauigkeit jeder Geste wacht, gehört zum Spiel.“

Von diesem Spiel, von Lebenslust und Todesnähe gerade beim Bergsteigen, lasen in Amden Bergsteiger und Bergsteigerinnen, Autoren und Autorinnen: altbekannte wie Oswald Oelz, Christine Kopp, Roland Heer, Robert Steiner und Felix Ortlieb, jung unbekannte wie Marlène Linsmayer, Annette Frommherz, Ueli Bürgisser, Sabina Altermatt und Caroline Fink. In allen Texten spürte man alpinistische Leidenschaft, in den haltlosen Wänden so sehr wie in schwarz-weissen Textgebirgen. Gian Rupf zeigte als Premiere seinen genialen Film „Wieso bisch du am Berg?“, den man hoffentlich auf den alpinen Filmfestivals wieder wird sehen können; selten wurde die Frage, warum die Leute auf die Berge steigen, so witzig und vielschichtig beantwortet. Und während der Bündner Klarinettist Domenic Janett, der die ganze „Bergfahrt 2006“ einfühlsam begleitet hatte, seinem Instrument die Abschiedstöne entlockte, schaute der Mürtschenstock, das Mattehorn der Glarner Alpen, unbeteiligt durch die grossen Fenster in den vollen Gemeindesaal auf der st. gallischen Sonnenterrasse.


Ammler Ziitig

Wieso bisch du am Berg?

Mit der „Bergfahrt 2006“ von Gipfel zu Gipfel

„Leidenschaft Berg“, unter diesem Thema stand die zweite Schweizer Tagung für Bergsteigerliteratur vom Samstag, 20. Mai, in Amden. Berg- und Literaturfreunde erlebten eine genussvolle Gratkletterei mit vielen Höhepunkten; zusammen mit den bergsteigenden Autorinnen und Autoren wurden unzählige Gipfel - auf Fels und auf Papier - bestiegen, sicher geführt von Moderator und Mitorganisator Emil Zopfi.

von Rösli Ackermann

„Andiamo monte!“, „Gehen wir auf den Berg“, diese Aufforderung war zugleich Begrüssung und Programm für die rund 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Bergfahrt 2006“, einer im deutschsprachigen Raum wohl einmaligen Tagung für Bergsteigerliteratur. Nach dem Dank an die zahlreichen Sponsoren, insbesondere an den Hauptsponsor und Partner, den Schweizerischen Alpenclub SAC, leitete der Bündner Musiker Domenic Janett aus „Berg-ün“ mit einer virtuosen Klarinetten-Improvisation über zum „ersten Berg“.

Von Leiden, Lust, Glück und Tod am Berg
Oswald Oelz, der bekannte Extrembergsteiger, Höhenmediziner und Chefarzt am Triemlispital in Zürich, liess die Zuhörerinnen und Zuhörer mitschwitzen in der flimmernden Hitze der Wüste von Oman, am fast senkrechten, 1200 Meter hohen zentralen Pfeiler, einer Kalksteinwand im siebten Grad, zweiundzwanzig Seillängen Kletterei mit zwölf Liter Wasser und viel Leichtmetall im Rucksack…und immer wieder die Frage: “Warum mache ich das?“... Bis er da war, der Grat. Das Wasser, mindestens 30 Grad warm, wurde zum „köstlichsten Getränk seines Lebens“, besser als jeder Mouton Rothschild oder Chateau Pétrus. „Wasser, du selbst bist das Leben, du schenkst uns grosses Glück“, so fasste Oelz seine unbändige Lust am Klettern in Worte.
Zur Besteigung des Mount Blackburn in Alaska lud Christine Kopp, NZZ-Redaktorin und Fachjournalistin für Alpinismus, das Publikum ein. Während fünf Tagen in Fels, Eis und Schnee, kreisten ihre Gedanken um die „Magie des Berges“, das vollkommene Glück, das Gefühl des Lebendigseins, wenn Körper, Geist und Seele eins sind, aber auch um den Tod, der die Leidenschaft Berg stets begleitet. „Es ist niemals die Sehnsucht nach dem Tod, vielmehr der Hunger, die Suche nach dem Leben, die zum Bergsteigen antreibt“, schreibt die Autorin.

Eine literarische Klettertour
Vom „jungen Wilden“, einem Sportkletterer der ersten Stunde, gewandelt zum leidenschaftlichen Schreibsportler, beeindruckte Roland Heer mit seiner lustvoll in den Saal geschmetterten literarischen Klettertour: „…Kletterer wie Schreiber sind äusseren Einflüssen ausgesetzt…Es herrscht phantasieloses Sauwetter, Nullbock bespringt das Zimmer, alle Ideen sind zugenebelt, der Bildschirm ist Wolken verhangen und der Text zugeschneit… Kommas und Punkte sind die Zwischensicherungen. Ein Ende des Seils ist mit dem Hirn verknotet und das andere am Finger auf der schweissnassen Tastatur. Die Route ist schwer, ich bin solo unterwegs in unbekanntem Gelände, das erst noch erschaffen werden muss. Ein Absturz ist jederzeit möglich. Der Tod klettert mit. Wenn nur nicht alles, was mir in den Sinn kommt, so überhängend wäre! ...Der Berg wächst mir über den Kopf, und plötzlich ist alles vorbei. Ich bin auf dem Gipfel…“ Bergsteigen sei nur das Bergsteigen selbst, so der Germanist und Lehrer, und um dies zu erleben, sei der Bergsteiger am Berg.

Königlich verrückt
Um die Frage, ob Bergsteigen nun Therapie oder Krankheit oder gar Sucht sei, um die Lust und Leidenschaft am und zum Bergsteigen, um die Liebe und den Tod in den Bergen, um diese Themen drehte sich die anschliessende Diskussion. Emil Zopfi zitierte dazu treffend Betty Favre (1918-77), eine der grössten Schweizer Alpinistinnen, aus der soeben erschienenen Bergmonographie „Badile“: „ Wir sind verrückt, aber königlich verrückt, einzigartige Leidenschaft; sie hat die Flügel der Weite, die Grösse entfesselter Furien, und sogar der Tod, der über die Genauigkeit jeder Geste wacht, gehört mit zum Spiel.“

Filmpremiere und junge Texte

Auch nach dem Mittagessen reihte sich Höhepunkt an Höhepunkt:
Die witzige halbstündige Videodokumentation von Gian Rupf und René Schnoz gab amüsante, philosophische und überraschende Antworten auf die Frage „Wieso bisch du am Berg?“. So zum Beispiel: „Bergsteigen ist nur das drittschönste, das zweitschönste ist darüber reden, und das schönste ist, wenn man es gemacht hat.“
Anschliessend präsentierten vier junge Autorinnen und ein Autor, die Sieger unter dreissig Wettbewerbsteilnehmenden, ihre Texte: Philosophisch die Geschichte von „Sisiphos“ am Berg, psychologisch-vielschichtig geschildert die siebzehn Jahre dauernde Suche nach „Kaspar“, dem im Titlis verschollenen Sohn, spannend und überraschend die beiden Beziehungs-Krimis „Der letzte Viertausender“ und „Bergwärts“ und tagebuchartig kurz das Gedicht „Ein Brief an das Weisshorn“. Die jungen Schreibenden Marlène Linsmayer, Bernadette Frommherz, Ueli Bürgisser, Sabina Altermatt und Caroline Fink sind ein Versprechen für die Zukunft!

Max Frisch ins Szene gesetzt
Mit humoristisch inszenierten und brillant rezitierten Bergpassagen aus bekannten Werken von Max Frisch eroberte das Duo Rupf und Schnoz, die beiden bergsteigenden Schauspieler aus dem Bündnerland, im Nu die Herzen des Publikums. Ein braunes Ledersofa, Frischs legendäre Hermes Baby und seine Tabakpfeife als Requisiten, flogen sie in der Super Constellation (dem Vorgängermodell der DC 3) über den Alpen, wanderten vom Glarnerland nach Locarno, lauschten den Erzählungen des Hüttenwartes auf der Planurahütte und erkannten beim Flug über das Finsteraarhorn voller Freude die heimatlichen Berggipfel.

Selig, wer in Träumen stirbt, und poetischer Ausklang
Zwei Extremalpinisten setzten zum Schluss der Tagung zwei völlig unterschiedliche Akzente: Der deutsche Gastautor Robert Steiner sorgte mit der dramatischen Schilderung seines Bergunfalls in der Nordwand der Grandes Jorasses im Mont Blanc-Gebirge und der spektakulären Rettung nach zwei Tagen nochmals für atemberaubende Spannung. Er erzählt in seinem Erstling “Selig, wer in Träumen stirbt“ aber auch, wie sich seine Einstellung zum Bergsteigen und vor allem zu den Mitmenschen durch dieses Erlebnis verändert hat, wie er vom traumwandlerisch sicheren Einzelkletterer im Fels zum auf Sicherheit bedachten Seilgefährten und Freund geworden ist.
Als Schlusspunkt der Tagung wagte der bekannte Glarner Alpinist und Künstler Felix Ortlieb ein literarisch-künstlerisches Experiment: Seine erstmals vor Publikum gelesenen poetischen Gedichte und fragmentartigen Texte wurden begleitet von liebevoll in klaren Linien gezeichneten, auf eine Leinwand projizierten Strichfiguren. Eine gelungene Kombination! „Berg steigen, Gedanken abstreifen und heimkehren“, vielleicht ist das, von Felix Ortlieb auf den Punkt gebracht, das Geheimnis der „Leidenschaft Berg“?

Berg&Ski 3/06

Bergfahrt 2006 - Begegnung mit alpiner Literatur

von Charles Mori

Vergangenen Mai fand in Amden eine Begegnung mit alpiner Literatur statt, die «Bergfahrt 2006». Rund zweihundert Buch- und Bergbegeisterte lauschten den erlebten und erfundenen Geschichten, Gedichten und Gedanken von deutschsprachigen Literaten aus der Schweiz und Deutschland.
Nachdem bereits das erste Treffen 2004 ein grosser Erfolg gewesen war, beschloss der Organisator Emil Zopfi, selber bekannter Buchautor, der Bergfahrt eine Fortsetzung zu geben. Titelgebend war damals die Erzählung «Bergfahrt» des Philosophen Ludwig Hohl. 2006 nun stand der Schriftsteller Max Frisch im Zentrum, von dem es zahlreiche Buchstellen gibt, in denen die Berge eine Rolle spielen. Die Schauspieler Gian Rupf und René Schnoz inszenierten einige Passagen und liessen erkennen, dass Frisch die Berge liebte, stets aber mit Vorbehalten. Zwischen den Zeilen sind immer wieder Zweifel zu spüren, Skepsis gegenüber der Leidenschaft für das Bergsteigen. Dieselben Vorbehalte waren nun auch bei den Autoren festzustellen, die in Amden aus ihren Texten gelesen haben, sowohl bei den namhaften wie Oswald Oelz, Christine Kopp oder Robert Steiner als auch bei den Nachwuchsautoren. Leidenschaft hat eben immer auch mit Leiden zu tun, so wie Leben und Tod einander bedingen. In den Bergen ist dies offenbar besonders gut zu spüren. Entsprechend oft war in den Texten von den Gefahren der Berge die Rede, von Furcht, Schmerz und schliesslich Tod. Die Frage, warum Menschen in die Berge gehen, stand deshalb permanent im Raum, und die gelesenen Texte waren jeder für sich wie eine Antwort darauf. «Man riskiert den Tod, um das Leben zu gewinnen», erklärte Christine Kopp, oder «Bergsteigen ist die Krankheit, für deren Heilung ich sie hielt», analysierte Roland Heer. Weitere Antworten präsentierte Gian Rupf mit seinem überaus lustigen Film «Wieso bisch du am Berg?», in welchem er Wanderern und Bergsteigern diese Frage stellte. Spätestens hier zeigte sich, dass es unzählige Gründe dafür gibt. Von Glück war da die Rede, von Erholung, von Kampf, Sport und Freiheit. Und sei es nur, um in aller Freiheit ungestört furzen zu dürfen, wie einer meinte.

Kontakt: emil(at)zopfi.ch
(at) bedeutet @
Emil Zopfi, Bergfahrt 2006, CH-8758 Obstalden. Tel. 055 614 17 15

[ Copyright © Emil Zopfi ]

Fotos: Jean-Pierre Hauser

«Andiamo Monte»: Organisator und Moderator Emil Zopfi eröffnet.

Domenic Janett aus Bergün findet den richtigen Ton.

«Eastern Promise»: Oswald Oelz führt durch eine Felswand in Oman, die «wie eine Fata Morgana aus der flimmernden Einöde der Wüste ragt».

Christine Kopp am Mount Blackburn in Alaska: «Den Tod riskieren, um das Leben zu gewinnen.»

Sportkletterer der ersten Stunde und leidenschaftlicher Autor: Roland Heer «am Berge um das Tal, um das Leben auszuhalten».

«Leidenschaft Berg»: Leidenschaftliche Diskussion um Leben, Tod und Betsy Berg.

Der Nachwuchs macht sich stark.

Vier junge Autorinnen und ein Autor präsentieren Texte: Ueli Bürgisser, Marlène Linsmayer, Annette Frommherz (hinten von links), Sabina Altermatt und Caroline Fink (vorn von links).

Frisch am Berg: Gian Rupf und René Schnoz doubeln in szenischer Lesung Max Frisch.

Gast aus Deutschland, Extrembergsteiger und Schriftsteller Robert Steiner liest aus: «Selig, wer in Träumen stirbt».

Kletterer, Künstler, Poet: Felix Ortlieb experimentiert mit Wort und Bild.

Ausklang mit Domenic Janett.