Roman

Jede Minute kostet 33 Franken

Unerbittlich läuft die Zeit im Rechenzentrum der ICS in Zürich.
Es ist die Nacht vom 29. April 1975, die Nacht, in der die amerikanische
Armee aus Vietnam flieht. Auch Schichtleiter Martin Kern kämpft:
Mit den Tücken des Computers und mit seiner eigenen politischen
Vergangenheit, die im heissen Sommer 1968 begonnen hat.
Ein «Frühwarnsystem» nannte der Schriftsteller Otto F. Walter
den frühen Computerroman, der von der verschwundenen Welt der
Lochkarten und IBM-Mainframes erzählt und vom politischen Aufbruch
der Sechziger- und Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts.

2020 bei epubli.de originalgetreu neu aufgelegt und ergänzt mit dem Essy «Eine Welt aus Papier. Erinnerungen an die Arbeit in Rechenzentren in den 1970er Jahren».

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CHF 33 inkl. Porto.

Stimmen zum Roman:

Emil Zopfi: Gedanken nach 25 Jahren

Otto F. Walter: «Eines der wichtigsten Werke der neuen Literatur»

Walter Vogt: «Das Buch hat mich erschüttert»

Jürgen Egyptien: «Gesamtgesellschaftliche Brisanz»

Kurze Lesung aus dem Roman

Lesung zur Eröffnung des Literaturhauses Zürich, 1. September 2022.

Gedanken nach 25 Jahren

Der Schriftsteller Otto F. Walter bezeichnete in einer Fernsehrezension
das vorliegende Buch als «Frühwarnsystem», als «ferner junger
Verwandter jenes Homo Faber, mit dem Max Frisch 1959 die Frage
nach der Verantwortung des Technikers für unsere Gesellschaft
warnend gestellt hat». «Jede Minute kostet 33 Franken» erschien
am 1. Mai 1977 in einer Zeit, als Computer noch grosse und teure
Anlagen waren, nur wenigen Spezialisten zugänglich und verständlich.

Es ist die alte Welt der elektronischen Datenverarbeitung, die
ich in diesem Roman gestaltete, weitgehend aus eigener Erfahrung
und im Bewusstsein, dass sich hier eine Technologie und Kultur
entwickelt, die in Zukunft die Gesellschaft radikal verändern
wird. Ich wollte von dem Unbekannten erzählen, das ich kannte
und von dem ich überzeugt war, dass es schon bald das Leben und
den Alltag vieler bestimmen werde. Die Technologie war noch so
fremd, dass der Limmat Verlag das Wort «Computer» im Titel vermeiden
wollte, da es zu wenig geläufig sei. Das Buch begründete auch
das literarische Programm des Verlags.
Nach einem Vierteljahrhundert sind Computer nun aller Welt bekannt,
viele Menschen nutzen sie privat und im Beruf. Die ökonomischen
und politischen Folgen sind tief greifend, die weltweite Vernetzung
der Wirtschaft, oft «Globalisierung» genannt, wäre ohne Computertechnologie
undenkbar. In diesem Sinne ist die Bezeichnung «Frühwarnsystem»
sicher treffend.
Das Buch war lange vergriffen, nicht mehr aktuell, ein historischer
Roman sozusagen, der von der verschwundenen EDV-Technik der Lochkarten
und IBM-Mainframes erzählt, vom Ende des Vietnamkriegs und den
Protesten der 68er Bewegung, der politischen Nostalgie meiner
Generation. Moderne Technologie erlaubt es nun, das Buch in Faksimile
neu aufzulegen, im «Print-on-Demand» Verfahren. Für all jene,
die sich für die Geschichte der Informatik und ihrer Verknüpfung
mit den politischen Bewegungen einer Zeit interessieren, die in
vielfacher Weise noch immer Gegenwart und Zukunft beeinflusst.

Atemlos haben wir während des vergangenen Vierteljahrunderts die
Entwicklung der Geschichte und der Technologie verfolgt. Welt
und Arbeitswelt haben sich grundlegend verändert. Die grossen
Fragen sind jedoch ungelöst geblieben: Armut und Unterentwicklung
auf der einen, Machtkonzentration und schamloser Reichtum auf
der andern Seite. Die Technologie hat die Gräben nicht überbrückt,
sondern noch tiefer aufgerissen ­ obwohl sie in sich das Potential
zur weltweiten Kommunikation und Verständigung trägt. Unsere Verantwortung
ist also nicht kleiner geworden, sondern gewachsen.

Schriftsteller Otto F. Walter im Monatsmagazin des Schweizer Fernsehens
vom 15.3.1978:

«Eines der wichtigsten Werke der neuen Literatur»

Ich begegne nicht vielen Büchern, die mich ganz persönlich betroffen
machen. Hier ist eins. Eine Frage voraus: Ist Literatur ein Frühwarnsystem?
Aber zunächst ein paar Fakten. Der Titel lautet: «Jede Minute
kostet 33 Franken».
(…)
Ich habe Zopfis Buch in die Hand genommen, herumgeblättert, habe
festgestellt: Da fährt einer nachts zur Arbeit, kommt ins Büro,
zwei Minuten Verspätung, offensichtlich eine Nachtschicht in einem
Computer-Center. Geht mich, mich ganz persönlich das etwas an?
Ich blätterte. Und ich sah fast auf jeder Seite, gross in den
Text eingelassen, eine Zahl, etwa: 22.21 … 22.27 …
Ich beginne als Leser zu kapieren. Da berichtet einer aus der
Welt der Datenverarbeitung und er tut es so, dass er deren Prinzip,
Einteilung aller Abläufe in Zeiteinheiten, zum Prinzip zugleich
seines Romans macht. Da wurde ich neugierig. Das ist ein Formwille.
Er drängt über die Formsprache des konventionellen Romans hinaus.

Im Zentrum des Geschehens der Schlichtleiter Martin Kern. Er stand
1968 auf der Seite derer, die schon damals spürten, dass unser
industrieller Fortschrittswahn uns und unsere Umwelt allmählich
kaputt macht. Aber Kern hat resigniert. Er hat sich angepasst.

Gewiss eine unglaublich anschauliche Beschreibung moderner Arbeitswelt.
Jener der Operators an den Systemen 1045, 1065. Aber zugleich
erzählt der Roman in Rückblenden und Gehirnstenogrammen was mit
und was in diesen Männern während der Nachtschicht passiert. Fast
lautlos summen die elektronisch gesteuerten Anlagen wie Kühlschränke
vor sich hin. Ready… go… ready… go…
(…)
Den Aufsteiger Kern, so glaubt jedenfalls er, gehen die Daten,
die hier verarbeitet werden, nichts an. Es sind die Daten eines
schweizerischen Rüstungskonzerns. Aber diese Nachtschicht treibt
ihn dann doch auf eine Existenzkrise zu. Möglich, dass er etwas
Wichtiges wiedergefunden haben wird, die Einsicht etwa, dass es
nur eine Chance gibt: Solidarität aller Abhängigen!
Mit dieser Hoffnung entlässt uns der Roman. Tief mitbetroffen
habe ich ihn aus der Hand gelegt. Zopfis Roman ist, bei allen
Unterschieden, fast so etwas wie ein ferner, junger Verwandter
jenes Homo Faber, mit dem Max Frisch 1959 die Frage nach der Verantwortung
des Technikers für unsere Gesellschaft warnend gestellt hat.
Noch einmal jene Frage: Ist Literatur ein Frühwarnsystem? Kein
Zweifel, sie kann es sein. Dann nämlich, wenn ein solch brennendes
Thema formal seine Deckung gewinnt. Das ist hier gelungen. So
halte ich Emil Zopfis Roman für eines der wichtigsten Werke unserer
neuen Literatur.

Schriftsteller und Psychiater Walter Vogt in seinem Roman «Altern», Benziger Verlag,
Zürich 1981:

«Das Buch hat mich erschüttert»

Bis über Mitternacht hinaus gelesen: Emil Zopfis «Jede Minute
kostet 33 Franken», Roman einer Computer Crew, die nachts verzweifelt
gegen die Apparate kämpft, unterliegt; ein Erstling, hinter dem
ein halbes Leben steht. Jeder ständig von der Angst besessen,
die Kästen aufzureissen, Kabel herauszuzupfen, auf dem ganzen
Transistorenladen herumzutrampeln ­ endlich wieder ein wenig befreiendes
Chaos herzustellen, in der ganzen übermässigen Ordnung.
Ich habe einmal einen dieser durchgedrehten Programmierer behandelt.
Er hatte «es» getan: die Kästen aufgerissen, auf Kabeln und Transistorelementen
herumgetrampelt. Gut, er war dann oder galt als schizophren. Als
er entlassen, ausgesperrt, eingesperrt, behandelt und wieder entlassen
war, brach er, serienweise, in Telefonkabinen ein und riss dort
die Kabel heraus. Er schenkte mir ein merkwürdig naives Fotobuch
über Alpentiere, zum Dank für eine Hilfe, die ich ihm gar nicht
leisten konnte.
Manchmal denke ich, verglichen mit diesem Computerjob ist Akkordarbeit
harmlos. Und wenn diese Leute einmal ausflippen, werden sie verfolgt
wie niemand sonst. Mein Patient jedenfalls kam in einem Mass unters
Rad, wie es Geisteskranke üblicherweise in diesem Land nicht kommen.
Ein Zeichen vielleicht, wie die Machthaber reagieren, wenn es
wirklich um etwas geht.
Destruktive Akte bei Schizophrenen sind genaugenommen selten.
Und ein solcher Akt ist doch immer ein Beziehungsdelikt.
Das Zopfische Buch hat mich erschüttert. Ich habe mich in einen
tiefen, erholsamen Schlaf geheult. Gegen Morgen kam, im Traum,
ein lieber guter, schöner Junge zu mir ins Bett, jung verheiratet,
mit zwei kleinen Kindern. Wir waren sehr zärtlich, sagten uns
furchtbar artige Dinge ins Ohr. Er tröstete mich wirksam über
mein Alter, mein Altern hinweg.
Mein jüngerer Ego, der auch mein alter Ego ist …

Literaturkritiker Jürgen Egyptien im «Kritischen Lexikon zur Gegenwartsliteratur»:

«Gesamtgesellschaftliche Brisanz»

Der 1977 erschienene Roman «Jede Minute kostet 33 Franken» stellt
den ehemals studentenbewegten Schichtleiter Kern in den Mittelpunkt,
der für seinen Operator Kopp am Computer einspringen muss. Kopp,
der sich vergeblich um die gewerkschaftliche Organisation der
Mitarbeiter bemüht hatte, liess seinen Beruf und die Schweiz hinter
sich. Zu Kopps Verschwinden, das Kern veranlasst, sich mit den
politischen Implikationen seiner Tätigkeit auseinanderzusetzen,
tritt noch der Kollaps des Computersystems hinzu und bewirkt Kerns
neue politische Sensibilisierung.
Der verhaltene Optimismus, in den das Buch ausklingt, seine detaillierten
Beschreibungen der Arbeitsvorgänge und seine unprätentiöse, präzise
Sprache sind den programmatischen Absichten der Werkstatt schreibender
Arbeiter geschuldet, der Zopfi angehörte. In einer Art Werkstattbericht
benannte er als Prinzipien der angestrebten Literaturproduktion
u. a. Parteilichkeit und die Verständlichkeit für Arbeiter und
begriff auch sein eigenes Schreiben als «kulturelle Leistung für
die Arbeiterbewegung». Gleichwohl besitzt das in seinem ersten
Roman angeschnittene zentrale Thema der modernen Computertechnologie
gesamtgesellschaftliche Brisanz. Mit diagnostischem Blick werden
die Funktionalisierung und Entfremdung des Menschen herausgearbeitet,
der als «ein fest eingebauter, programmierter Teil des Systems»
erscheint und dessen Handgriffe in den Daten heckenden Rechnern
unsinnlich verschwinden. Die Maschine zwingt das menschliche Personal
unter ihr Joch, und das «weit aufgerissene Maul des Systems» verlangt
permanente Datenzufuhr.
Aus Kerns zunehmend kritischem Blickwinkel entlarvt sich die neue
Technologie als ein neuer Leviathan, der das Paradies versprach.

Erschienen im am
1. Mai 1977 im
Limmat Verlag Zürich.

Bürkliplatz 1.Mai 1977

Buchpremiere an der Kundgebung auf dem Bürkliplatz.