Der Fortschritt versteckte sich in einem Schuppen im Allgäu, sein
Schöpfer hielt sich und seine junge Familie mit Gelegenheitsarbeiten
über Wasser, malte Gemsen auf Holztafeln für die Amerikaner, und
nebenbei entwickelte er auf Notizblättern eine Sprache zur Programmierung
automatischer Rechner. Der Krieg war zu Ende, Deutschland lag
in Trümmern, eine Maschine hatte überlebt: Konrad Zuses Z4, Phönix
aus der Asche. Ihre Geschichte ist spannender als jeder Abenteurroman.
Erster Schauplatz ist Berlin mitte der Dreissigerjahre, Hauptdarsteller
ein junger Bauingenieur, der sich in den Kopf gesetzt hat, «rechenplangesteuerte
Rechenmaschinen» zu bauen, weil er, wie er in späteren Jahren
etwas kokett zu bemerken pflegt, «zu faul war» für die endlosen
statischen Berechnungen. Auf dem Stubentisch in der elterlichen
Wohnung baut er die Z1, mit Hilfe von Freunden, den Eltern und
der Schwester, ein mechanisches Klapperwerk, das nie richtig funktioniert.
Am 12. Mai 1941 endlich kann er einigen Leuten von der Deutschen
Versuchsanstalt für Luftfahrt das Modell Z3 vorführen, ein elektromechanisches
Gerät, zusammengelötet aus alten Relais und Wählern aus Telefonzentralen,
Rechenwerk und Speicher sind nach dem digitalen Prinzip gebaut,
das Programm wird in alte 35mm Filmstreifen gelocht. Das Datum
gilt in der Geschichte der Informatik als Geburt des Computers,
sein Vater ist Konrad Zuse. Offiziell ist er noch bei den Henschel-Flugzeugwerken
als Statiker angestellt, baut aber nebenher seine eigen Firma
auf, «Zuse Ingenieurbüro und Apparatebau, Berlin». Ab 1942 entwickelt
er die Z4, eine Synthese aus Z1 und Z3: Elektromechanisches Rechenwerk,
die vier Grundoperationen fest verdrahtet, ebenso das Wurzelziehen
und Quadrieren, alles in 32 Bit Gleitkommaarithmetik. Eine Addition
benötigt eine halbe Sekunde. Zuse ist mit dieser Rechnerarchitektur
der internationalen Entwicklung um Jahre voraus, obwohl er keinen
Kontakt mit dem Ausland hat. Ein eigentliches Wunderwerk ist der
mechanische Speicher für 64 Zahlen à 32 Bit, jedes der 2048 Bit
wird durch einen winzigen Schaltstift dargestellt. Die Programmsteuerung
besteht aus zwei Lochstreifenlesern, einen für das Hauptprogramm,
der andern für Unterprogramme; später werden sogar bedingte Befehle
eingebaut. Die Bedienung erfolgt über ein komfortables Schaltpult
mit vielen Signallämpchen und Tasten.
Bomben fallen auf Berlin, Z1 und Z3 versinken unter Schutt und
Trümmern, in einem Keller arbeitet Zuse mit etwa 20 Leuten verbissen
an der Z4 weiter. Im Januar 45 heiratet er eine Mitarbeiterin,
standesgemäss mit Kutsche, Frack, Zylinder und Schleier, schon
donnern in der Ferne die Kanonen der Russen. In den letzten Tagen
vor dem Fall Berlins gelingt es Zuse, die Maschine auf einen Eisenbahnwagen
zu verladen und sich mit seiner Frau und Mitarbeitern nach Süden
abzusetzen. Von Göttingen geht die Flucht auf Lastwagen der Wehrmacht
weiter durch das brennende Land nach Hinterstein im Allgäu.
Vorderhand interessierte sich niemand für das Gewirr von Drähten,
Knöpfen, Blechen und ausgedienten Fernmelderelais, das in einem
Schuppen lagerte. In Hopferau bei Füssen, wohin die Familie 1946
zog, führte Zuse die Z4 den staunenden Bürgern vor, das «Rechenzentrum»
befand sich in einem ehemaligen Lokal der Hitlerjugend. «Das Ganze
war total verwirrend für uns», erinnert sich ein Hopferauer, «aber
Zuse war überzeugt, dass die Maschine einmal alles rechnen könne,
was man überhaupt rechnen kann». Er erzählt weiter: «Die Familie
Zuse lebte sehr arm, denn jeden Pfennig, den er erübrigen konnte,
steckte er in seine Erfindung.»
Dramatische Wendung der Geschichte: Eines Tages im Jahr 1949 entsteigt
ein Herr einem vornehmen Automobil mit Schweizer Nummer. Professor
Eduard Stiefel ist Vorsteher des neugegründeten Instituts für
Angewandte Mathematik der Eidgenössischen Technischen Hochschule
ETH in Zürich, er hat von der Rechenmaschine Wind bekommen, die
irgendwo im Allgäu herumstehen soll. Stiefel diktiert Zuse eine
Differentialgleichung, Zuse knipst das Programm auf einen Filmstreifen,
legt ihn in den Leser, die Z4 klappert und rattert, das Resultat
ist richtig. Der Fortschritt tritt wieder ans Tageslicht.
Die ETH mietete die Maschine für fünf Jahre und 30 000 Franken,
Zuse fand in Neukirchen in der Rhön Räume für seine Firma, überholte
den Rechner gründlich und nach einem halben Jahr ging er wieder
auf Reisen, diesmal nach Zürich. Die Zuse KG wuchs in den Fünfzigerjahren
in Bad Hersfeld zu einem Unternehmen mit tausend Beschäftigten,
1964 wurde es von Brown Boveri & Cie. übernommen, später von Siemens.
Hundert Gäste aus Industrie und Wissenschaft waren zur Inbetriebnahme
der Z4 in Zürich geladen, doch kurz vor der Vorführung bockte
sie und sprühte Funken, Leitungen schmorten. Sternstunde des Meisters.
Konrad Zuse, der Erfinder, der Ingenieur, der Theoretiker war
stets auch ein begnadeter Bastler gewesen, er krempelte die Ärmel
hoch, griff nach dem Lötkolben und reparierte den Schaden. Die
Demonstration des ersten Wissenschaftscomputers in Europa wurde
ein Erfolg. Und noch manche Nacht stand Zuse in Zürich unter der
Kuppel der ETH neben seinem Rechner und lauschte dem vertrauten
Klappern, ein Programm konnte damals schon mal hundert Stunden
ununterbrochen rechnen. Doch die Z4 schaffte zuverlässig, berechnete
das Flügelflattern von Düsenflugzeugen, den Staudamm von Grand
Dixence, kritische Turbinendrehzahlen, optische Probleme und vieles
mehr. Zuse, der um humorvolle Bemerkung nie verlegen ist, schreibt
in seinen Erinnerungen: «Immerhin besass das verschlafene Zürich
durch die ratternde Z4 ein, wenn auch bescheidenes, Nachtleben».
Ambros Speiser, ein junger Elektroingenieur, später Forschungsdirektor
bei ABB, war für den Betrieb verantwortlich. Er erinnert sich:
«Das Rechnen mit der Z4 war interaktiv im stärksten Sinne des
Wortes. Der Mathematiker war dauernd mit dem Ablauf des Programms
verbunden. Er konnte die Zwischenergebnisse sehen, man konnte
die Rechenvorgänge hören in den Relaisschränken, so dass man dem
Verlauf folgen konnte und wenn nötig eingreifen.»
Das Institut für Angewandte Mathematik der ETH entwickelte sich
in jenen Jahren zu einem «Center of excellence» von Weltruf, die
Z4 war, wie Speiser sagt, der «Kristallisationspunkt».
Heute steht die Z4 im Deutschen Museum in München, sie ist nicht
mehr funktionstüchtig, sie habe mehr unter «Friedenseinwirkung»
gelitten, als unter dem Krieg, sagte Zuse einmal. Die 2200 Relais
und 21 Schrittschalter, die mechanischen Schaltglieder, die Lochstreifenleser
und die angeschlossene Schreibmaschine sind verstummt. Die Maschine
rechnet nicht mehr, dafür erzählt sie die Geschichte einer grossen
Idee, die unter widrigsten Umständen Wirklichkeit geworden ist.
Emil Zopfi
Konrad Zuse: Der Computer Mein Lebenswerk. Springer Verlag Berlin
Mathias Knauer: Konrad Zuse, Ein Filmporträt des Computerpioniers
und seiner Maschinen. Videofilm, Filmcooperative Zürich, Postfach
172, CH-8031 Zürich