«Jede Minute kostet 33 Franken» nach 25 Jahren in Faksimile neu aufgelegt:
Zum Preis von 33 Franken!


Unerbittlich läuft die Zeit im Rechenzentrum der ICS in Zürich. Es ist die Nacht vom 29. April 1975, die Nacht, in der die amerikanische Armee aus Vietnam flieht. Auch Schichtleiter Martin Kern kämpft: Mit den Tücken des Computers und mit seiner eigenen politischen Vergangenheit, die im heissen Sommer 1968 begonnen hat.
Ein «Frühwarnsystem» nannte der Schriftsteller Otto F. Walter den frühen Computerroman, der von der verschwundenen Welt der Lochkarten und IBM-Mainframes erzählt und vom politischen Aufbruch der Sechziger- und Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts. 25 Jahre nach dem Erscheinen ist die Originalausgabe in Faksimile als «Book on Demand» neu aufgelegt und kostet 33 Franken ­ eine Minute historische Rechenzeit.

 

Stimmen zum Buch:

Emil Zopfi: Nachwort nach 25 Jahren

Otto F. Walter: «Eines der wichtigsten Werke der neuen Literatur»

Walter Vogt: «Das Buch hat mich erschüttert»

Jürgen Egyptien: «Gesamtgesellschaftliche Brisanz»

 

Emil Zopfi:

Nachwort nach 25 Jahren

Der Schriftsteller Otto F. Walter bezeichnete in einer Fernsehrezension das vorliegende Buch als «Frühwarnsystem», als «ferner junger Verwandter jenes Homo Faber, mit dem Max Frisch 1959 die Frage nach der Verantwortung des Technikers für unsere Gesellschaft warnend gestellt hat». «Jede Minute kostet 33 Franken» erschien am 1. Mai 1977 in einer Zeit, als Computer noch grosse und teure Anlagen waren, nur wenigen Spezialisten zugänglich und verständlich.
Es ist die alte Welt der elektronischen Datenverarbeitung, die ich in diesem Roman gestaltete, weitgehend aus eigener Erfahrung und im Bewusstsein, dass sich hier eine Technologie und Kultur entwickelt, die in Zukunft die Gesellschaft radikal verändern wird. Ich wollte von dem Unbekannten erzählen, das ich kannte und von dem ich überzeugt war, dass es schon bald das Leben und den Alltag vieler bestimmen werde. Die Technologie war noch so fremd, dass der Limmat Verlag das Wort «Computer» im Titel vermeiden wollte, da es zu wenig geläufig sei. Das Buch begründete auch das literarische Programm des Verlags.
Nach einem Vierteljahrhundert sind Computer nun aller Welt bekannt, viele Menschen nutzen sie privat und im Beruf. Die ökonomischen und politischen Folgen sind tief greifend, die weltweite Vernetzung der Wirtschaft, oft «Globalisierung» genannt, wäre ohne Computertechnologie undenkbar. In diesem Sinne ist die Bezeichnung «Frühwarnsystem» sicher treffend.
Das Buch war lange vergriffen, nicht mehr aktuell, ein historischer Roman sozusagen, der von der verschwundenen EDV-Technik der Lochkarten und IBM-Mainframes erzählt, vom Ende des Vietnamkriegs und den Protesten der 68er Bewegung, der politischen Nostalgie meiner Generation. Moderne Technologie erlaubt es nun, das Buch in Faksimile neu aufzulegen, im «Print-on-Demand» Verfahren. Für all jene, die sich für die Geschichte der Informatik und ihrer Verknüpfung mit den politischen Bewegungen einer Zeit interessieren, die in vielfacher Weise noch immer Gegenwart und Zukunft beeinflusst.
Atemlos haben wir während des vergangenen Vierteljahrunderts die Entwicklung der Geschichte und der Technologie verfolgt. Welt und Arbeitswelt haben sich grundlegend verändert. Die grossen Fragen sind jedoch ungelöst geblieben: Armut und Unterentwicklung auf der einen, Machtkonzentration und schamloser Reichtum auf der andern Seite. Die Technologie hat die Gräben nicht überbrückt, sondern noch tiefer aufgerissen ­ obwohl sie in sich das Potential zur weltweiten Kommunikation und Verständigung trägt. Unsere Verantwortung ist also nicht kleiner geworden, sondern gewachsen.

 

Schriftsteller Otto F. Walter im Monatsmagazin des Schweizer Fernsehens vom 15.3.1978:

«Eines der wichtigsten Werke der neuen Literatur»

Ich begegne nicht vielen Büchern, die mich ganz persönlich betroffen machen. Hier ist eins. Eine Frage voraus: Ist Literatur ein Frühwarnsystem? Aber zunächst ein paar Fakten. Der Titel lautet: «Jede Minute kostet 33 Franken».
(...)
Ich habe Zopfis Buch in die Hand genommen, herumgeblättert, habe festgestellt: Da fährt einer nachts zur Arbeit, kommt ins Büro, zwei Minuten Verspätung, offensichtlich eine Nachtschicht in einem Computer-Center. Geht mich, mich ganz persönlich das etwas an?
Ich blätterte. Und ich sah fast auf jeder Seite, gross in den Text eingelassen, eine Zahl, etwa: 22.21 ... 22.27 ...
Ich beginne als Leser zu kapieren. Da berichtet einer aus der Welt der Datenverarbeitung und er tut es so, dass er deren Prinzip, Einteilung aller Abläufe in Zeiteinheiten, zum Prinzip zugleich seines Romans macht. Da wurde ich neugierig. Das ist ein Formwille. Er drängt über die Formsprache des konventionellen Romans hinaus.
Im Zentrum des Geschehens der Schlichtleiter Martin Kern. Er stand 1968 auf der Seite derer, die schon damals spürten, dass unser industrieller Fortschrittswahn uns und unsere Umwelt allmählich kaputt macht. Aber Kern hat resigniert. Er hat sich angepasst.
Gewiss eine unglaublich anschauliche Beschreibung moderner Arbeitswelt. Jener der Operators an den Systemen 1045, 1065. Aber zugleich erzählt der Roman in Rückblenden und Gehirnstenogrammen was mit und was in diesen Männern während der Nachtschicht passiert. Fast lautlos summen die elektronisch gesteuerten Anlagen wie Kühlschränke vor sich hin. Ready... go... ready... go...
(...)
Den Aufsteiger Kern, so glaubt jedenfalls er, gehen die Daten, die hier verarbeitet werden, nichts an. Es sind die Daten eines schweizerischen Rüstungskonzerns. Aber diese Nachtschicht treibt ihn dann doch auf eine Existenzkrise zu. Möglich, dass er etwas Wichtiges wiedergefunden haben wird, die Einsicht etwa, dass es nur eine Chance gibt: Solidarität aller Abhängigen!
Mit dieser Hoffnung entlässt uns der Roman. Tief mitbetroffen habe ich ihn aus der Hand gelegt. Zopfis Roman ist, bei allen Unterschieden, fast so etwas wie ein ferner, junger Verwandter jenes Homo Faber, mit dem Max Frisch 1959 die Frage nach der Verantwortung des Technikers für unsere Gesellschaft warnend gestellt hat.
Noch einmal jene Frage: Ist Literatur ein Frühwarnsystem? Kein Zweifel, sie kann es sein. Dann nämlich, wenn ein solch brennendes Thema formal seine Deckung gewinnt. Das ist hier gelungen. So halte ich Emil Zopfis Roman für eines der wichtigsten Werke unserer neuen Literatur.

 

Schriftsteller und Psychiater Walter Vogt in seinem Roman «Altern», Benziger Verlag, Zürich 1981:

«Das Buch hat mich erschüttert»

Bis über Mitternacht hinaus gelesen: Emil Zopfis «Jede Minute kostet 33 Franken», Roman einer Computer Crew, die nachts verzweifelt gegen die Apparate kämpft, unterliegt; ein Erstling, hinter dem ein halbes Leben steht. Jeder ständig von der Angst besessen, die Kästen aufzureissen, Kabel herauszuzupfen, auf dem ganzen Transistorenladen herumzutrampeln ­ endlich wieder ein wenig befreiendes Chaos herzustellen, in der ganzen übermässigen Ordnung.
Ich habe einmal einen dieser durchgedrehten Programmierer behandelt. Er hatte «es» getan: die Kästen aufgerissen, auf Kabeln und Transistorelementen herumgetrampelt. Gut, er war dann oder galt als schizophren. Als er entlassen, ausgesperrt, eingesperrt, behandelt und wieder entlassen war, brach er, serienweise, in Telefonkabinen ein und riss dort die Kabel heraus. Er schenkte mir ein merkwürdig naives Fotobuch über Alpentiere, zum Dank für eine Hilfe, die ich ihm gar nicht leisten konnte.
Manchmal denke ich, verglichen mit diesem Computerjob ist Akkordarbeit harmlos. Und wenn diese Leute einmal ausflippen, werden sie verfolgt wie niemand sonst. Mein Patient jedenfalls kam in einem Mass unters Rad, wie es Geisteskranke üblicherweise in diesem Land nicht kommen. Ein Zeichen vielleicht, wie die Machthaber reagieren, wenn es wirklich um etwas geht.
Destruktive Akte bei Schizophrenen sind genaugenommen selten. Und ein solcher Akt ist doch immer ein Beziehungsdelikt.
Das Zopfische Buch hat mich erschüttert. Ich habe mich in einen tiefen, erholsamen Schlaf geheult. Gegen Morgen kam, im Traum, ein lieber guter, schöner Junge zu mir ins Bett, jung verheiratet, mit zwei kleinen Kindern. Wir waren sehr zärtlich, sagten uns furchtbar artige Dinge ins Ohr. Er tröstete mich wirksam über mein Alter, mein Altern hinweg.
Mein jüngerer Ego, der auch mein alter Ego ist ...

 

Literaturkritiker Jürgen Egyptien im «Kritischen Lexikon zur Gegenwartsliteratur»:

«Gesamtgesellschaftliche Brisanz»

Der 1977 erschienene Roman «Jede Minute kostet 33 Franken» stellt den ehemals studentenbewegten Schichtleiter Kern in den Mittelpunkt, der für seinen Operator Kopp am Computer einspringen muss. Kopp, der sich vergeblich um die gewerkschaftliche Organisation der Mitarbeiter bemüht hatte, liess seinen Beruf und die Schweiz hinter sich. Zu Kopps Verschwinden, das Kern veranlasst, sich mit den politischen Implikationen seiner Tätigkeit auseinanderzusetzen, tritt noch der Kollaps des Computersystems hinzu und bewirkt Kerns neue politische Sensibilisierung.
Der verhaltene Optimismus, in den das Buch ausklingt, seine detaillierten Beschreibungen der Arbeitsvorgänge und seine unprätentiöse, präzise Sprache sind den programmatischen Absichten der Werkstatt schreibender Arbeiter geschuldet, der Zopfi angehörte. In einer Art Werkstattbericht benannte er als Prinzipien der angestrebten Literaturproduktion u. a. Parteilichkeit und die Verständlichkeit für Arbeiter und begriff auch sein eigenes Schreiben als «kulturelle Leistung für die Arbeiterbewegung». Gleichwohl besitzt das in seinem ersten Roman angeschnittene zentrale Thema der modernen Computertechnologie gesamtgesellschaftliche Brisanz. Mit diagnostischem Blick werden die Funktionalisierung und Entfremdung des Menschen herausgearbeitet, der als «ein fest eingebauter, programmierter Teil des Systems» erscheint und dessen Handgriffe in den Daten heckenden Rechnern unsinnlich verschwinden. Die Maschine zwingt das menschliche Personal unter ihr Joch, und das «weit aufgerissene Maul des Systems» verlangt permanente Datenzufuhr.
Aus Kerns zunehmend kritischem Blickwinkel entlarvt sich die neue Technologie als ein neuer Leviathan, der das Paradies versprach.

 

[ Copyright © Emil Zopfi ]

Erschienen im am 1. Mai 1977 im Limmat Verlag Zürich - Jetzt als Book on Demand wieder im Buchhandel, hergestellt durch BoD Schweiz:

Emil Zopfi: «Jede Minute kostet 33 Franken», Roman, Mit einem aktuellen Nachwort.
CHF 33.-/Euro 22.-

ISBN 3 85791 0097

Bestellen per E-Mail:
emil(at)zopfi.ch
(at) bedeutet @