Laudatio für Herbert Leiser, Kulturpreis Kanton Glarus. Filzbach, 19.9.2013


Ich gehe, gehe,
ich suche die Freiheit,
ich hoffe, den Weg zu finden,
um weiterzugehen.

Lieber Herbert Leiser
Sehr verehrte Gäste dieser Feier

Es ist mir eine Ehre und eine grosse Freude, für dich, Herbert, diese Lobrede - Laudatio - zu halten. Wir kennen uns, seit du im Jahr 2003 nach Obstalden gezogen bist, in ein altes, verlassenes Haus - nach einem halben Leben im Ausland. Unsere Verbindung reicht aber eigentlich über Jahrzehnte zurück, ins Zürich der Siebzigerjahre, wo du ab 1974 drei Jahre Schauspieler am Neumarkttheater warst, in politisch bewegten Zeiten. An einer engagierten Bühne mit Mitbestimmung des Ensembles, die experimentelle und politisch profilierte Stücke zeigte. Etwa «Bezahlt wird nicht» von Dario Fo. Oder der «Brand von Uster» von Jakob Stutz über den Maschinensturm der Zürcher Oberländer Heimarbeiter 1832.

In der Rolle eines Heimarbeiters habest du damals gelernt wie man Garn am Spinnrad spinnt, hast du mir erzählt, du könnest es heute noch. Das scheint mir doch ein typischer Wesenszug von dir zu sein. Du bist nicht nur ein Schauspieler, du bist auch ein überaus geschickter Handwerker. Aus einem verlassenen und teilweise baufälligen Haus hast du ein solides, gemütliches, originelles Heim geschaffen, da hast du Wurzeln geschlagen - für immer oder für eine gewisse Zeit, wer weiss. Schauspieler, Handwerker aber noch viel mehr: du bist ein Multitalent. Ein Künstler, ein ausserordentlich begabter Zeichner, Illustrator und auch ein Autor. Ich erwähne dazu nur deine orinelle und nicht ganz jugendfreie Neufassung der Heidi-Geschichte, in Versen gedichtet und witzig illustriert.

Dein Weg: Grossfamilie in Näfels, nicht auf Rosen gebettet, in den Ferien auf Baustellen gearbeitet, Klosterschule, Buchdruckerlehre. Hart, aber auch «Wunderbare Zeiten der Schauspielerei mit dem Cabaret Röslichöhl mit Freunden». Bis heute haben sich diese Freundschaften erhalten.
Nach der Berufslehre wurde dir klar, schreibst du, «dass ich mein Leben nicht als &Mac220;Leiharbeiter&Mac221; vergeuden wollte. Ich wusste, dass ich eine Begabung zum Zeichnen hatte, [...] ich wollte Künstler werden.» Doch «mich hat weniger die Kunst, als das Künstler-Sein interessiert.» Lebenskünstler also.

Genf und Paris waren Stationen auf deiner Suche. Dann fast per Zufall die Schauspielschule in Stuttgart, angeregt durch das Beispiel von Bekannten. «Wenn die das können, kann ich das auch». Klammheimlich bist du nach Stuttgart gereist, hast ohne professionelle Erfahrung die Aufnahmeprüfung bestanden. «Der Start ins Berufsleben war hart. Sehr hart. Aber meine Glarner Sturheit hat mich am Aufgeben gehindert.»
Du hast auf Bühnen in Stuttgart, Köln, Bonn, Lausanne, Zürich und andern Orts gespielt, immer wieder auch in Filmrollen. «Kinder der Landstrasse» zum Beispiel, «Das gefrorene Herz», der «Schwarze Tanner».

Dass du nach Obstalden gekommen bist, zurück ins Glarnerland, deine Heimat, zurück in die Schweiz, ist letztlich auch ein Zufall. Nach 35 Jahren wolltest du Deutschland verlassen, aus privaten Gründen, du hast damals auch ans Elsass oder an Italien gedacht. Letztlich ist dir dein neues Heim in Obstalden zugefallen. Ein Glücksfall auch, sonst wären wir jetzt nicht hier versammelt, zu deiner Ehre.

Geehrt wird hier der Schauspieler Herbert Leiser. Ich zitiere: «Ein Kulturschaffender, der dank seiner Bekanntheit eine positive Ausstrahlung aufs Glarnerland als Kulturkanton und Künstlerheimat ausübt». Es ist der erste Glarner Kulturpreis für einen Vertreter der Schauspielkunst. Da könnte man kritisch einwerfen, ja was schafft denn ein Schauspieler, ist er nicht einer, der sich an einer vorgeschriebenen Rolle abarbeitet, einer, der reproduziert, nicht eigentlich Neues schafft. Eine Vorstellung von Schauspielerei, wie wir sie vielleicht aus dem Schülertheater kennen, wo man sich tatsächlich abmüht, einen Text auswendig zu lernen und wiederzugeben. Ein professioneller Schauspieler reproduziert eine Rolle nicht nur, er spielt nicht nur, sondern verkörpert eigentlich einen Charakter, er lebt. Das ist eine kreative Leistung, wie jene eines Musikers, der auf Grund einer Partitur das musikalische Kunstwerk erst vollendet. Der Schauspieler gestaltet aus dem Text und den Bildern im Kopf eines Autors, einer Autorin mit seinem ganzen Wesen ein lebendiges Stück Welt. Für einen Augenblick ist er nicht mehr der Herbert Leiser, er ist der Käser Hans Güntisberg aus Goldingen, der Mann mit der harten Schale und dem guten Herz.

Die Hauptrolle im Film «Die Käserei in Goldingen» sei eine seiner liebsten Rollen gewesen, hat mir Herbert Leiser gesagt. Wohl nicht von ungefähr. Ich denke, sie ist ihm auf den Leib geschrieben. Es ist die Geschichte vom Fremden, das einbricht in die Dörfer, das den Alltag bricht und Unruhe schafft. Ablehnung, Widerstand, Feind- aber auch Freundschaft und Hilfsbereitschaft. Herbert kennt das aus seinem eigenen Leben: er war ein Fremder, er hat sich in Seelscheid im Bergischen Land bei Köln ein Haus gebaut, aus einer Scheune. Es ist niedergebrannt, er hat es wieder aufgebaut und noch eines dazugebaut. Er ist zurückgekehrt in seine Heimat und man weiss, der verlorene Sohn, der zurückkehrt ist zuallerst auch ein Fremder im eigenen Land. Die Welt hat sich verändert in seiner Abwesenheit, ihre Gebräuche, ihre Gesetze, ihre Gewohnheiten. Er eckt an, er wird angefeindet, er denkt daran, wieder wegzugehen, zu fliehen, irgendwohin.

Und dann bleibt er trotzdem, er trotzt, mit seiner Glarner Sturheit. Dabei ist er nicht immer so leise, der Leiser, wie sein Name meint. Er kann widerborstig sein, verletzend manchmal und dabei selbst verletzlich bleiben. Die raue Schale, der empfindsame Kern. Dann baut er an seinem Haus weiter, zimmert und täfert und schindelt, legt Böden, baut eine Küche, einen Ofen, ein Bad, Sitzplätze. Und da sitzt er vor seinem Glas, schaut auf den See und in die wachsenden Schatten drüben am Mattstock, beobachtet wer da vorbeispaziert, redet mit den Leuten, lädt sie ein zum Wein, zur Grillwurst, zu guten Gesprächen im kühlen Wind, der vom Mürtschenstock herabweht.

Ein Glücksfall für das Haus, das Dorf, den Kanton, die Heimat. Ein Glücksfall für uns und auch für Herbert Leiser, den Schauspieler. Die Liste der Haupt- und Nebenrollen in Filmen, die er seit seiner Rückkehr spielen konnte, ist lang. Sicher nicht alle so geglückt wie der bärbeissige Käser aus Goldingen oder der melancholische Fotograf Josef Ernst im Film «Das alte Haus». Oder die Figur des Nachtportiers Casutt im Film «Der Teufel von Mailand», für die er an den Solothurner Filmtagen mit dem Schweizer Fernsehfilmpreis für die beste Nebenrolle ausgezeichnet wurde.

Herbert Leiser ist nun über siebzig und noch immer engagiert und unterwegs. Ich habe deshalb eine Strophe aus dem Lied «Caminando, caminando» von Victor Jara als Motto über diese Laudation geschrieben. Herbert hat mir gesagt, dass ihm der chilenische Poet und Liedermacher sehr viel bedeutet hat, der fast auf den Tag genau vor vierzig Jahren am 16. September 1973 von den Schergen Pinochets ermordet wurde. Es war eine Zeit, die uns beide sehr bewegt hat, wir waren einander nahe, geografisch und politisch, ohne dass wir uns kannten.

Ich gehe, gehe,
ich suche die Freiheit,
ich hoffe, den Weg zu finden,
um weiterzugehen.

Lieber Herbert, du hast den Weg in deine Heimat gefunden, hast ihr viel gegeben und jetzt auch die gebührende Ehre empfangen. Du bist doch ein Suchender geblieben, wie du selber sagst. «Immer noch auf dem Weg.» Wir sind gespannt, wohin er dich noch führen wird.

Emil Zopfi


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