Textprobe aus: Schrot und Eis

Als Zürichs Landvolk gegen die Regierung putschte

Historischer Roman.
Erscheint im September 2005 im Limmat Verlag, Zürich.

«Herr, vergib und unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldnern. Und führe uns nicht in Versuchung …» Er kniet am Fenster, Mitternacht vorbei, Neumond, kein Licht und kein Laut mehr draussen. Er betet, bittet um Vergebung und Kraft, doch keine Antwort kommt vom Himmel. Der erkaltete Schweiss jagt ihm Schauer über den Rücken, in die Ehekammer mag er nicht und dort ins verlassene Bett steigen. Aus dem Siegesrausch ist er unvermittelt in die tiefste Melancholie gestürzt.
Wenn es doch ihn getroffen hätte, wünscht er sich, dann könnte er jetzt vor den Thron des Allerhöchsten treten und Rechenschaft ablegen. Der Gedanke an Freitod steigt in ihm auf, wie schon oft in Momenten der Verlassenheit. Freiwillig hinübertreten ins Jenseits. Doch Freitod ist Sünde, denn nur der Herr hat das Recht, uns zu rufen, er allein. Hätte Gott eine Kugel in sein Herz gelenkt, er wäre als ein Märtyrer im Glauben gestorben und dadurch unsterblich geworden. Doch ist ihm diese Gnade nicht widerfahren. Gott hält noch andere Aufgaben für ihn bereit.
Im Korridor kauert die Katze auf einer Kommode. Er hebt sie hoch, drückt sein Gesicht in ihr Fell. Dann zieht er seine Schuhe aus, wäscht am Kessel seine schmerzenden Füsse, kühlt sein heisses Gesicht. Barfuss schleicht er die Treppe hinauf, die Stufen knarren leise unter seinem Schritt. Vor der Kammer der Magd bleibt er stehen, atmet tief, bevor er die Klinke drückt. In der Dunkelheit erkennt er die Umrisse der Bettstatt, die Gestalt unter Leinen und Laubsäcken, im Schlaf eingerollt wie ein Fötus im Mutterleib. Er berührt ihre Haare, sie bewegt sich, fährt auf. «Wer ist da?»
«Ich bins. Hab keine Angst, Kind.»
«Der Herr Pfarrer?»
«Mach keinen Lärm. Es geschieht dir nichts Böses. Es ist mir nur kalt, so kalt.» Er schlüpft zu ihr, umfängt ihren schmalen Körper, drückt ihn an sich. Wärme umfängt ihn und ein Geruch, der ihm die Besinnung raubt.

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Bernhard Hirzel